Das Urteil

Pandemie und Prostata-Probleme

Erfolgreiche Premiere des Ein-Personen-Stücks ,, Nicht ganz dicht" im ,, Marleen"

Von Hendrik Jung

WIESBADEN. Herr Her ist nicht ganz
dicht. So lautet die prägnante Botschaft in Arno Hermers Tragikomödie mit
Gesang, die im ,,Marleen" im Lili ihre
ausgesprochen erfolgreiche Premiere
feiert. Dass Hermer in der Rolle des Her
als nicht ganz dicht bezeichnet werden
muss, liegt keineswegs daran, dass sich
der Aushilfs-Schlagzeuger im Staats-
orchester mit 70 Jahren noch mal
rettungslos in eine Kollegin verliebt.
Auch nicht daran, dass er seiner
Nachbarin als Tages-Opa aushilft. Im
Gegenteil: Die einseitige, aber
liebevolle Kommunikation mit dem im
Kinderwagen verborgenen Krippenkind
tut ihm offensichtlich gut. Auslöser für
die Undichtigkeit ist eine Prostata-
Ausschabung, die dazu führt, dass er
die Gespräche mit dem Pflegekind
fortan von Windelexperte zu Windelex-
perte führt. Es ist wie ein Flashback:
Herr Her verabredet sich mit Kumpel
Erwin zum ersten Mal im Leben auf ein
Bier am Kiosk. 

Denn die Handlung spielt im Jahr 2020 und es herrschen strenge Kontaktbeschränkungen. Das Pflegekind hat er, weil die Krippe geschlossen ist. Austausch erfolgt per Video-konferenz. Annäherungsversu-che gehen in die Hose. Hermers durch die hessische Kulturstiftung geförderte Tragikomödie bietet sich als Ein-Personen-Stück also perfekt für die nächste kontaktarme Phase einer Pandemie an. Zumindest die Proben im Staatsorchester finden statt, doch die Aufführung geht in die Hose. Zumindest für Herrn Her mit seinen Prostata-Problemen. Und das, wo er doch so gern mit Kontrabassistin Natalya eine Hygiene-Einheit bilden würde. Hermer ist ein kluges, gut konstruiertes Stück gelungen, das zeigt, wie sich Furcht überwinden lässt. ,,Mut zur Schwäche, nur die macht Dich stark", lautet eine der Schlüsselaussagen. Obwohl das Stück die Nöte der Betroffenen auf den Punkt bringt, behandelt es Themen wie Inkontinenz in Folge von Prostata-Ausschabung mit großer Leichtigkeit. So herrschte denn auch unter den drei Dutzend Premierengästen nahezu durchgehend Heiterkeit.
Wobei das Lachen an besonders peinlichen Stellen eindeutig eher in der Sopran-Lage zu verorten ist. Etwa wenn Herr Her die Gebrauchs-

anweisung für den Katheter studiert, der ihm bei seinen Prostata-Beschwerden Abhilfe verschaffen soll. Die Vorsteher-Drüse vergleicht er mit der Verwaltung, bei der auch niemand so ganz genau wisse, wofür sie eigentlich gut ist: „Sie wird immer dicker, es dauert immer länger, bis etwas läuft und am Ende läuft gar nichts mehr", erklärt Her seinem Freund Erwin. Köstlich auch, wenn er sich für das Rendezvous mit Natalya Windelhosen als Schulterpol-ster ins Jackett packt. Da es sich um eine Tragikomödie handelt, kommen auch Mo-mente echter Verzweiflung zum Tragen. Genauso natürlich wie der versprochene A-capella-Gesang. Für seine oft humorvoll variierten Texte bedient Hermer sich bei den Melodien großer Komponisten aber auch traditionellem Liedgut aus Deutschland und Frankreich. So führt er den Katheter opernhaft in die Handlung ein mit dem Hilferuf Taminos aus Mozarts Mozarts ,,Zauberflöte". Mit Michel Sardous ..La maladie d'amour" rundet er chansonesk das Fingerpuppenspiel ab, mit dem jeweils die Treffen mit Natalya in Szene gesetzt sind. Dass Hermer auch den bluesigen Soul des Billy Withers Klassiker ,,Ain't no sunshine" mit eher brüchiger Stimme intoniert, passt. Schließlich ist Herr Her ja Aushilfs-Schlagzeuger und kein Sänger.

Wiesbadener Kurier, 23. 4. 2022

Das KARL-VALENTIN-PROGAMM ist auch wieder da!!

Und hat eine herrliche Resonanz!